Ich bin der festen Überzeugung, dass fachliche Fähigkeiten heute überbewertet werden. Unternehmen sollten sich vielmehr auf die Kompetenzen von Mitarbeitenden konzentrieren. Kompetenzen sind dabei die Fähigkeiten, die Menschen in Ihrem Leben entwickeln, um in offenen, komplexen, schwer überschaubaren und dynamischen Systemen aktiv zu handeln.
Weil das Thema aus meiner Sicht sehr komplex ist, möchte ich an dieser Stelle einmal auf drei Gegensätze verweisen, die die Führungskraft von heute reflektiert betrachten kann, um an den eigenen Kompetenzen zu arbeiten.
Es ist vollkommen unrealistisch davon auszugehen, dass die Anforderungen an die heutige Arbeitswelt noch ansatzweise mit den Anforderungen übereinstimmen, die es vor 20 Jahren gab. Antriebe, Bedürfnisse, Technologien, Gesellschaften - all das ändert sich massiv.
Aber klar, wirst du sagen:
Vollkommen richtig! Und: Die Zyklen der Veränderung werden deutlich kürzer. Das stellt für das menschliche Gehirn und damit letztlich auch für Unternehmen und die Führung eine ziemliche Herausforderung dar. Gefühlt kommt eine Krise nach der anderen auf uns zu: Eurokrise, Trump, Brexit, Klimawandel, Ukrainekrieg - jetzt die Gaskrise! Was ist die nächste Krise? Sie wird kommen und führt zu immer mehr Unsicherheit.
Kurz: Die professionellen Anforderungen an Management und Führung ändern sich enorm. Anspruch und Komplexität steigen.
Und: Einfache Lösungen gibt es nicht. Daher hier folgend 3 Ansätze zur Diskussion!
Ray Dalio propagiert in seinem Buch “Principles” das Konzept der radikalen Offenheit. In einer sich so dramatisch schnell verändernden Welt müsse man dieses Prinzip zu einer Lebenseinstellung machen. Ich stimme mit diesem Konzept hochgradig überein und möchte diesem lediglich folgende Gedanken hinzufügen:
Gleichzeitig ist der Fokus auf den Kern der Aufgaben bzw. der Ergebnisse extrem relevant. Nicht “auf jeden Zug aufzuspringen” und gleichzeitig mental offen zu sein, ist ein Dilemma und damit eine Herausforderung für Führungskräfte in einer digitalen, globalen Welt. Wenn in Deutschland im Jahr 2020 im Durchschnitt 30 Mailings pro Stunde kontrolliert werden, dann frage ich mich, wie der Fokus erhalten werden kann.
Führungsstärke bedeutet auch Entscheidungen zu treffen. Ob sie richtig oder falsch sind, wissen wir häufig erst im Nachhinein. Das Schlimmste wäre allerdings, erst mal gar keine Entscheidung zu treffen. Die gesteigerte Unsicherheit der Unternehmensumwelt führt zunehmend zu einer Entscheidungsunfreudigkeit, die durch Risikoaversion manifestiert und Unternehmen in Stillstand versetzt. Keiner will einen Fehler machen.
Stattdessen möglichst flexibel bleiben und agil? Widerspricht sich das nicht? Vielleicht! Eher aber nicht. Flexibel zu sein in einer unsicheren Welt bedeutet als Führungskraft, dass ich meine getroffenen Entscheidungen ständig überwache und kritisch hinterfrage und überprüfe. Je mehr Unsicherheit, desto mehr Möglichkeiten, auch für Fehler. Sich diese einzugestehen, daraus kontinuierlich zu lernen und die Fehler auch im Team zu korrigieren kann extrem schwierig für das Ego sein.
Schon immer habe ich persönlich für eine output- bzw. ergebnisorientierte Führung bzw. Messung der Ergebnisse plädiert. Wer heute in einer geistigen Tätigkeit noch nach Input (40-Stunden-Woche) arbeitet/arbeiten lässt, verfehlt aus meiner Sicht das Ziel. Es gilt also, Maßstäbe zur Messung der Ergebnisse festzulegen und outputorientiert zu arbeiten.
Neben der reinen Ergebnismessung ist es für eine Führungskraft in einer digitalen Welt wichtig, empathisch zu sein, zuhören zu können, auf seine Mitarbeitenden nicht nur fachlich, sondern auch menschlich einzugehen.
“Be a coach, not a boss” (Sei ein Trainer, kein Chef) ist eine häufig verwendete Floskel, die selten richtig und vollumfänglich angewendet wird. Wenn Führungskräfte ganz im Sinne der Mitarbeitenden agieren und diesen nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterbringen, dann ist das ein Zeichen von Empathie. Mit einem echten Interesse an dem Wohlbefinden kommt das Ergebnis oft von alleine.
Eine sich immer schneller verändernde Welt (technologisch, gesellschaftlich, ökologisch, demographisch) erwartet von Unternehmen, dass sie in die stetige Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren. Diese Aus- und Weiterbildungen müssen individuell identifiziert und strategisch implementiert werden. Die drei genannten Gegensätzen (Fokus vs. Offenheit, Flexibilität vs. Entscheidungsfähigkeit, Empathie vs. Output) liefern einen ersten Ansatz für ein Führungskonzept. Daraus ergibt sich das Profil einer Führungskraft, das man heute und gerade im Mittelstand noch viel zu selten findet. Ich hoffe, nicht mehr lange.
Dr. Hubertus Porschen spricht in seinen Keynotes und Impulsvorträgen über Digitalisierung, Innovation, Führung und Motivation. Unternehmen unterstützt er in seinen Beratungsprojekten vor Allem bei der Entwicklung von digitalen Marketing- und Vertriebsstratgegien.