Digitalisierung erfordert eine Reorganisation der Aufbau-Organisation

Digitalisierung erfordert eine Reorganisation der Aufbau-Organisation

 
05. November 2018

Wer bisher dachte, dass Digitalisierung lediglich Einfluss auf Prozessstrecken und Geschäftsprozesse nimmt, der irrt gewaltig: Der Umsetzungs-Reife-Grad der Digitalisierung lässt sich aus der Aufbauorganisation eines Unternehmens ablesen.

Aktuell findet die Umsetzung der Digitalisierung oder auch digitale Transformation vor allem in den Prozessen und der Ablauforganisation von Unternehmen statt. Zu dem Zweck werden Prozesse zumeist im Rahmen von Großprojekten in der jeweiligen Ausprägung analysiert, um feststellen zu können, ob es sich um Kern-, Unterstützungs-, oder Managementprozesse handelt und welcher Digitalisierungsgrad vorliegt.

Mit Erstaunen wird dann konstatiert, dass die digitale Ausprägung als gering bewertet werden muss. Im nächsten Schritt werden Wettbewerber bzw. technische Einflussfaktoren betrachtet, um ableiten zu können, welches digitale Zielbild der jeweilige Prozess einnehmen kann und sollte.

Nun trennt sich die Spreu vom Weizen: Das digitale Zielbild ist bekannt und sorgt für Widerstände bei der Umsetzung durch die Betroffenen. Eine vollumfängliche und konsequente Transformation des Prozesses in der Gesamtheit erfolgt jedoch in den wenigsten Organisationen. Oftmals werden lediglich wertschöpfende Kernprozesse in die Betrachtung inkludiert, was dazu führt, dass alle weiteren Prozessgruppen außen vor bleiben.

Doch wer kümmert sich nach Projektende um diesen halbherzigen Transformationsversuch? Wurden spezielle aufbauorganisatorische Maßnahmen ergriffen, um Digitalisierung zur „Chefsache“ zu erklären?

Digitalisierungsbereitschaft lässt sich im Organigramm ablesen

In den meisten Organisationen, in denen digitale Transformation mit Hilfe von Projektaufträgen abgewickelt wird, versandet die Bereitschaft einer kontinuierlichen Ausrichtung auf diesen Megatrend im Zeitablauf. Das Projekt ist beendet und ein Bruchteil des Prozessbaukastens wurde zumeist nur halbherzig mit digitalen „Bordmitteln“ angepasst. Aus den jeweiligen Fachbereichen kommt leider zu selten der Treiber für weitere Transformationsanstöße, da die Beteiligten sehr stark in das operative Tagesgeschäft eingebunden sind.

Es muss also ein zentrales Kompetenzteam geben, welches innerhalb der Organisation den Digitalisierungsgrad kontinuierlich hochhält und die Umsetzung vorantreibt. Somit lässt sich die erste Hypothese im Rahmen der Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Digitalisierung und Organisationsstruktur ableiten:

Je länger man benötigt, eine verantwortliche Einheit für den Bereich Digitalisierung, z. B. in Form einer Stabsstelle, im Organigramm zu finden, desto geringer ist der Stellenwert für digitale Transformation in der Unternehmung.
Nachdem bei einigen Organisationen die Notwendigkeit des digitalen Anstoßes die Denkweisen der wichtigsten Entscheider durchflossen hat, lassen sich im organisatorischen Aufbau unterschiedliche Ausprägungen für die Implementierung einer Digitalisierungseinheit finden: Digitalisierungsbeauftrage, Referate zur Digitalisierung oder Stabsstellen zur Digitalisierung sind oft wahrgenommene Namen derartiger Organisationseinheiten.

Sobald der Digitalisierungsbeauftrage in seiner Stellenbeschreibung zusätzliche themenfremde Aufgaben wahrnimmt, kann an dieser Stelle eher von einer „Pseudofunktion“ gesprochen werden. Unabhängig von der Unternehmensgröße wird Nicht-Digitalisierung zu einem Risiko, dass den Fortbestand eines jeden Unternehmens nicht bloß gefährdet, sondern mit ziemlicher Sicherheit beenden wird.

Digitalisierung zur Chefsache machen oder es lassen.

Aus diesem Grund kann und muss Digitalisierung immer von der Geschäftsführungsebene ausgehend top-down gelebt werden. Konzerne haben hier oftmals Ihre Hausaufgaben gemacht und installieren CDO´s (Chief Digital Officers), welche eigenständige Geschäftseinheiten führen und Digitalisierung in der gesamten Organisation unabhängig von einem Projektauftrag voranbringen.

Für kleine und mittlere Unternehmen erscheint es sinnvoll, durch die Geschäftsführung die notwendige Aufbruchsstimmung vermittelt zu bekommen und Digitalisierungseinheiten mindestens auf 2. Führungsebene zu positionieren. Neben der inhaltlichen Ausrichtung dieses Thema ist die Außenwirkung gegenüber Kunden und Geschäftspartnern durch die Neugestaltung der Organisationsstruktur in diesem Kontext immens. Somit lässt sich die zweite Hypothese aus diesen Ausführungen ableiten.

Je niedriger eine Digitalisierungseinheit im Organigramm einer Unternehmung positioniert wird, desto geringer ist der Stellenwert für digitale Transformation in der Unternehmung.

Agilität erhöhen, um digitale Reife zu gelangen

Oftmals wird behauptet, dass Agilität und digitale Reife in einer direkten Abhängigkeitsbeziehung zueinanderstehen. Konkret wird vermutet, dass Unternehmen, die eine agile Organisationsstruktur verfolgen, einen hohen digitalen Reifegrad aufweisen. Hierbei sind agile Aufbauorganisationen von

  • einer Netzwerkstruktur geprägt,
  • weisen als hybride Organisationen „verschwimmende“ Unternehmensgrenzen auf
  • und verfolgen eine innovative Struktur mit flachen und flexibel zu gestaltenden Hierarchien.

Noch nicht ganz klar ist in diesem Zusammenhang, ob die vermutete Abhängigkeitsbeziehung lediglich in eine Richtung verläuft oder ob sich beide Eigenschaften positiv beeinflussen, d. h. sorgt Agilität für Digitalisierung oder erhöht der digitale Reifegrad gleichzeitig die Agilität in einem Unternehmen? Somit lassen sich zwei, etwas provokantere Hypothesen formulieren:

Je agiler die Aufbauorganisation eines Unternehmens gestaltet ist, desto schneller, unkomplizierter und vollumfänglicher verläuft die digitale Transformation. Und, je höher der digitale Reifegrad eines Unternehmens ist, desto agiler wurde die Aufbauorganisation reorganisiert.

Digitalisierung ist ein Thema für alle

Häufig hört man das Argument, dass Digitalisierung vor allem ein Thema der „Big Player“ sei. Doch die „Großen“ sind nur so groß geworden, weil

  • ein mittelständisches Zulieferernetzwerk die gesamte Wertschöpfungskette aufrecht erhält,
  • mittelständische Personaldienstleister hoch qualifizierte Mitarbeiter akquiriert
  • und mittelständische Handelsketten die verarbeiteten Produkte vertreibt.

Das Thema hybride Organisation mit verschobenen Unternehmensgrenzen zeigt immer wieder, wie unabdingbar es geworden ist, dass kleine und mittelständische Unternehmen die digitale Prozesssprache der Konzernstrukturen verstehen und damit kommunizieren und Handel treiben zu können. Es ist gut nachvollziehbar, dass damit hohe Kraftanstrengungen verbunden sind. Vor allem die digitale Reife der Geschäftsführung muss in kleinen und mittleren Unternehmen überdurchschnittlich stark ausgebildet werden, um als Multiplikator innerhalb der „familiären“ Strukturen dienen zu können.

Mit Hilfe folgender These soll diese Argumentation überprüft werden:

Je mehr Digitalisierungsaufgaben und Handlungsfelder im Rahmen der digitalen Transformation bei der Geschäftsführung kleiner und mittlerer Unternehmen verortet sind, desto höher ist der digitale Reifegrad der Organisation

Im zweiten Teil dieses Artikels wird die Ablauforganisation untersucht werden. Es gilt dann im nächsten Schritt Zusammenhänge zwischen Ablauforganisation und digitaler Reife zu operationalisieren. Bleiben Sie daher neugierig im Sinne digitaler Transformation!

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Matthias H. Jahnke
Über
Matthias H. Jahnke
Matthias H. Jahnke ist Managementberater und Leiter des Kompetenzteams Prozesse und Organisation bei Banking-Partner. Der gelernte Bankkaufmann hat einen MBA der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr und war zuvor als Projektleiter und Senior Berater in der FINCON Unternehmensberatung tätig.
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