Ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen ist eine wirtschaftliche Gemeinschaft. Das bedeutet einerseits, dass sie im ökonomischen Sinne funktionieren muss, und andererseits, dass nicht-wirtschaftliche Ziele mit der gleichen Priorität und Intensität verfolgt werden dürfen, wenn die Gemeinschaft dies mehrheitlich entscheidet. Es geht beim §1 des Genossenschaftsgesetzes also nicht „nur“ um die wirtschaftliche Förderung, sondern um die Förderung von Mitgliedern im Allgemeinen.
Das ist die Perspektive, an der ganz neue Mechanismen von Wertschöpfung durch Lebensdienlichkeit und Gemeinwohl festgemacht werden können. Indem Menschen Wirtschaftsräume erschaffen, die sich auf ihre Lebensrealität, Familien und Heimat beziehen, ist es ihre Chance, wieder selbst die Verantwortung für ihr wirtschaftliches Handeln zu übernehmen. In dieser transformativen Zeit braucht unsere Gesellschaft und Wirtschaft neue Ziele jenseits von „Return on invest“ oder der knappen Einhaltung von Mindest-Nachhaltigkeitsstandards.
Diese strecken sich von der Landwirtschaft über die Forstwirtschaft bis hin zu Pflege- und Gesundheitsgenossenschaften und zeichnen sich durch eine hohe Ausrichtung an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder und ihrer intensiven Einbindung in lokale Netzwerke aus. Vor allem haben sie einen lokalen Fokus und bringen das Geld ihrer Anleger dort zum Einsatz, wo diese auch etwas davon haben. Ob beherzte Bürger:innen eine Nahwärmeversorgung für ihr ganzes Dorf auf den Weg bringen oder ein kleines Gasthaus retten, ist dabei gar nicht so relevant – wichtig ist, dass sich die Menschen vor Ort verbinden und gemeinsam eine Lösung für ihre Versorgungssicherheit angehen. Das stärkt die Gemeinschaft und fördert den Austausch, was wiederum die Lebensqualität steigert.
Daran sind die Verbände nicht ganz unschuldig, da sie in ihrer Beratung den Schwerpunkt auf wirtschaftliche Aspekte und Funktionalität anstatt auf Kooperation und Zwischenmenschlichkeit legen. Da in den vergangenen Jahrzehnten in vielen regionalen Gemeinschaften die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt erodiert ist, liegt allerdings genau im Letzteren die heutige Attraktivität einer genossenschaftlichen Organisation.
Langzeitstudien zeigen, dass ein funktionierendes soziales Umfeld und gelebte Zwischenmenschlichkeit besonders gesundheitsfördernd sind. Das Lösen komplexer gesellschaftlicher Probleme ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit und gleichermaßen ein vielversprechendes Feld der Wertschöpfung für lokale Organisationen. Hier können regionale Organisationen die Lücken schließen, die durch das immer dünner werdende Versorgungsgitter der staatlichen Gesundheits- und Bildungslandschaft entstehen. So können die Ersparnisse der Bürger:innen in ihrer eigenen Heimat angelegt werden und dazu beitragen, dass ein würdevolles Altern und gesundes Leben für sie umsetzbar wird.
Die genossenschaftliche Organisation bietet eine Perspektive auf Unabhängigkeit von schwankenden Märkten und die Möglichkeit für die Bürger:innen sinnvoll in ihre unmittelbare Lebensumgebung zu investieren. Sie bildet Gemeinschaft, indem sie Themen zur Diskussion stellt und Menschen dabei unterstützt, sich mit diesen Themen so auseinanderzusetzen, dass sie eine fundierte Entscheidung treffen können. Es wird nicht nur ein Thema verfolgt, sondern sich mit der Frage beschäftigt, wie wir Menschen vor Ort in Zukunft das Leben, die Arbeit und Wertschöpfung gestalten wollen.
Die regenerative Genossenschaft deckt die Wünsche und Bedürfnisse einer regionalen Gemeinschaft mit einem Portfolio regenerativer Produkte und Dienstleistungen und hält die Geldkreisläufe in der Lebensumgebung ihrer Mitglieder. Sie bietet Lösungen für Autarkie und Selbstversorgung mit den Dingen, die der jeweiligen regionalen Gemeinschaft wichtig sind. Dabei werden neue Technologien wie Fotovoltaik, Glasfaser und Wasserstoff in die Dörfer gebracht und alte Werte wie Gemeinschaft, Zusammenhalt und Versorgungssicherheit gelebt.
Es braucht neue Wertschöpfungsbereiche nach dem Abklingen der Industrialisierung. Da sich die zwei größten Sorgen „Kollaps des Ökosystems“ und „Kollaps des Geldsystems“ gegenüberstehen, bietet die regionale Genossenschaft die Möglichkeit für neuen Wohlstand. Wer jetzt die Lösungen entwickelt, mit denen Arbeitsplätze und gute Lebensbedingungen in Dörfern und Gemeinden geschaffen werden, der stoppt nicht nur den hungrigen Landfraß der Städte, sondern bietet Menschen Aussichten auf ein zukunftsfähiges Leben in ihrer Heimat.
Wo bisher Technologien immer größer und in riesige Industrieareale gebaut wurden, werden sie klein, mobil und dezentral. Dadurch entsteht eine neue Industrie, in der die Jobs entstehen, die an vielen anderen Stellen unserer Gesellschaft gerade verschwinden. Wenn Menschen eine faire und sinnvolle Perspektive haben, verschwinden meist auch viele gesellschaftliche Spannungen. Die Einladung zur Kooperation, um wertvolle menschliche Erfahrungen zu sammeln und sich persönlich weiterzuentwickeln, bringt einen Vorteil: sozial gut vernetzte Menschen sind gesünder, leben länger und sind viel produktiver.
Nur so kann aus Nachhaltigkeit auch neue Wertschöpfung entstehen, welche wiederum die Grundlage für neue Berufsbilder und ganze Branchen werden kann. Der Heilungsprozess von Menschen, das wieder einbringen von Nährstoffen in Ackerböden oder das Renaturieren von Wäldern sollte für die gesellschaftliche Zukunft als Kennzahl sichtbar gemacht werden. Nur aus der Vermeidung von etwas Falschem entsteht keine Wertschöpfung, sondern eben nur „kein Schaden“. Dabei ist klar, dass die Gesellschaft neue Berufsbilder und Einkommensfelder benötigt. Laut Schätzungen existieren 70 % der Berufe, die unsere Kinder einmal ausüben, noch gar nicht. Beim Blick auf Automatisierung, künstliche Intelligenz und eine globale Wirtschaft ist dies nicht verwunderlich.
Machen ist das neue Wollen – man muss nicht direkt alles haben, was es zur Gründung einer Genossenschaft braucht. Grundlegend ist jedoch eine Gruppe von Menschen, die sich ihrer Werte, Zielsetzungen und Motivationen im Klaren ist.