Plattformgeschäftsmodelle lassen sich systematisch entwickeln? Nein, Plattformgeschäftsmodelle MÜSSEN systematisch entwickelt werden. Denn die Risiken eines unstrukturierten Vorgehens sind zu groß und sind leider auch oft im Markt zu erkennen.
Klassische Geschäftsmodelle funktionieren schon mit einem guten Produkt oder einem überzeugenden Service. Der erste Kunde bringt auch erste Erlöse. Plattformgeschäftsmodelle leben hingegen von der Gestaltung von Interaktionen und Transaktionen, brauchen daher mindestens zwei Gruppen von Akteuren und müssen besser sein als die schon bestehenden Lösungen im Markt. Werden sie nicht systematisch entwickelt, scheitern sie, wie es viele Beispiele zeigen.
Klassische Fehlerbilder dabei sind:
In unserem Plattform Design Ansatz gestalten wir sukzessive ein belastbares Geschäftsmodell auf Basis eines konzeptionellen Kerns (Link zu Artikel 1). Dabei entwickeln wir mit Ihnen systematisch alle Spezifika eines Plattformgeschäftsmodells, d.h. wir gestalten und initiieren Netzwerkeffekte, wir entwickeln Strategien zur Auflösung des Chicken-Egg-Problems, wir designen Services, wir entwickeln eine Monetarisierungsstrategie und wir kümmern uns insbesondere um die Fundamente Ihres Regelwerks, die Plattform-Governance, denn schließlich werden Sie Taktgeber eines ganzen Ökosystems.
Dies alles stellt die Grundlage für Ihren Business Case dar. Plattformen rechnen sich, wenn es gelingt, die treibenden Plattform-Mechanismen in Gang zu setzen. Wie andere digitale Geschäftsmodelle auch haben Plattformen eine hohe Anfangsinvestition und sehr geringe variable Transaktionskosten. Deshalb haben Business Cases für Plattformen – wie alle skalierbaren Geschäftsmodelle – die Form eines „Hockey-Stick”.
Plattformgeschäftsmodelle unterscheiden sich aber in einem Punkt fundamental von anderen digitalen Geschäftsmodellen: der Schlüssel liegt nicht in der Investition in Technik, die lässt sich gerade am Anfang sogar oft recht niedrig halten. Der Schlüssel liegt im „Anschieben” der sogenannten Netzwerk-Effekte. Hier liegen meist die höheren Investitionen, die im Business Case berücksichtigt werden müssen und die erfolgskritischer sind als eine von Beginn an ausgefeilte Technik und Infrastruktur.
Der Hockey Stick – typische Umsatzkurve eines Plattformgeschäftsmodells durch Netzwerkeffekte am Beispiel Airbnb.
Die Netzwerkeffekte sind letztlich auch das Erfolgsgeheimnis von Plattformen. Vereinfacht dargestellt bedeutet Netzwerkeffekt: Je mehr Anbieter, desto größer die Nachfrage. Je größer die Nachfrage, desto mehr Anbieter. Und in beiden Fällen steigt der Wert der Plattform.
Ganz anders sieht das bei klassischen, linearen Geschäftsmodellen wie z.B. einer Bank aus: Je mehr Beratungskunden, desto schwieriger wird es, die Qualität für jeden einzelnen Kunden aufrecht zu erhalten.
Netzwerkeffekte sind das Fundament eines Plattformgeschäftsmodells. Sie lassen sich systematisch entwickeln.
Sobald Plattformen dieses „Schwungrad” ins Laufen bekommen, führt das unweigerlich auch zu monopolartigen Strukturen. „The winner takes it all.” Gleichzeitig ist es die größte Herausforderung für Plattformen, denn wenn keine Händler da sind, dann auch keine Käufer usw. Was kommt also zuerst, Henne oder Ei? – Ein Chicken-Egg-Problem.
Für das „Anschieben” der Netzwerkeffekte ist also eine gut durchdachte Markteintrittsstrategie zwingend erforderlich. Denn während bei klassischen, linearen Geschäftsmodellen das Funktionieren mit dem ersten verkauften Produkt oder Service beginnt, braucht es bei einer Plattform Akteure auf beiden Seiten und den passenden Match zwischen beiden.
Die Plattform braucht die notwendige „Liquidität”. Meist starten Plattformen daher erfolgreich mit einer Marktbegrenzung, sei es regional (Airbnb in San Francisco), auf eine Zielgruppe beschränkt (Facebook mit Harvard Studenten) oder auf eine Branche fokussiert (Fiverr mit IT-Spezialisten).
Diese Verengung führt letztlich zu einer höheren Relevanz unter den Akteuren, reicht aber selten als alleinige Strategie aus. Häufig muss eine Marktseite der Plattform zusätzlich subventioniert werden – zumeist sind dies die Produzenten. Ein ganz aktuelles Beispiel mit sichtbarem Erfolg ist der TikTok Kreativitätsfonds, der explizit zeigt, wie Plattformen in Schwung gebracht werden.
Dass hier zum Teil erhebliche Investitionen erforderlich sind, liegt auf der Hand. Umso wichtiger sind auch in dieser Phase klar definierte Hypothesen und eine konsequente Validierung während der Startphase der Plattform.
Deshalb ist nach unserer Überzeugung die Entwicklung von Plattformen nicht mit der Konzeption und dem Design beendet, sondern beginnt dann erst im kontinuierlichen weiteren Verstehen des Marktes und der erforderlichen Adjustierung.
Auch beim Markteintritt der Plattform geht es also wieder um Risikoreduktion, um nicht zu den 80 Prozent der gescheiterten Plattformen zu gehören. Netzwerk-Effekte und der dadurch entstehende „Pull-Effekt” lassen sich eben nicht im Labor überprüfen.
Es braucht einen „Freiland-Versuch” – mit minimalem Aufwand und maximaler Aussagekraft. Wir nennen dies „Release 0”. Das A und O sind dabei die richtigen Kennzahlen, die die Indikation für Anspringen oder Nicht-Anspringen der Netzwerk-Effekte liefern – also letztendlich für Erfolg oder Misserfolg der Plattform. Alleine schon das Verändern der Monetarisierungsstrategie, d.h. die Entscheidung, auf welcher Seite ich als Plattform Gebühren oder Provisionen erhebe, kann der zentrale Hebel sein, um das Schwungrad in Gang zu bringen, wie das Beispiel der Künstler- und Veranstalterplattform gigmit.com zeigt. Erst wenn das „Release 0” funktioniert, ist es also überhaupt sinnvoll, die Prozesse und Strukturen aufzubauen für ein skalierbares Modell der Plattform.
Kehren wir zurück zum Einstieg unserer kleinen Artikelserie zu Plattformgeschäftsmodellen mit System: Mittels geeigneter Mechanismen und Regelwerke bringen Plattformen Marktteilnehmer auf neue Art und Weise zusammen und mobilisieren so das zugrundeliegende Ökosystem. Und dieses Managen von Beziehungen, dieses Verbessern von Interaktionen und Transaktionen erzwingt eben auch eine andere Art von Wachstumsstrategie.
Es geht nicht darum, ein erstes Produkt oder Angebot zu erzeugen und dann möglichst effizient zu produzieren und zu vervielfältigen. Sondern es geht darum, einen Mechanismus zu implementieren und in Gang zu setzen, der ein ganzes Ökosystem bewegt. Es braucht viele und es braucht sie auf den beiden Seiten des Marktes. Der entscheidende Schritt ist der Weg dahin.
Tim Fischer
Tim Fischer ist Koautor des Beitrags. Er ist Head of Transformation bei der ICS IT & Consulting Services Gmbh, einer Tochter der Sparda-Bank Hessen. Er ist Experte für Strategieprozesse und Digitalisierung sowie zertifizierter Agile Coach und Platform Design Facilitator. Als einer der Köpfe hinter The Future of Platforms hilft er Unternehmen beim Sprung in die Welt der Ökosysteme.