Neue Arbeitswelt trifft Arbeitsrecht

Neue Arbeitswelt trifft Arbeitsrecht

 
19. September 2023

Die Möglichkeiten der neuen Arbeit, wie mobiles Arbeiten oder gewonnene Freiheiten haben sich von einem Privileg für Führungskräfte zur Norm entwickelt. Arbeitnehmer haben individuelle Wünsche, doch gibt es keinen gesetzlichen Anspruch darauf. Die Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bewegen sich innerhalb bestimmter Leitplanken.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit

Die Covid-19 Pandemie hat der neuen Arbeitswelt einen Aufschwung gegeben. Themen wie Remote Work sowie freiheitliches und selbstverantwortliches Arbeiten gehören mittlerweile zum Arbeitsalltag und zum Standardprogramm eines attraktiven Arbeitgebers. Was früher noch ein Privileg für Führungskräfte war, hat sich mittlerweile zur Voraussetzung für alle entwickelt. Doch was sagt eigentlich das Arbeitsrecht zur neuen Arbeitswelt? Gemeinsam mit der kallan Rechtsanwaltsgesellschaft mbH haben wir die neue Arbeitswelt aus rechtlicher Sicht beleuchtet.

Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten?

Der derzeit zu beobachtende Wandel der Arbeitswelt verläuft nach einem ähnlichen Muster: technische Ausstattung, organisatorische Anpassungen und strategische Transformation. Ein Großteil der Unternehmen reagierte schnell, pragmatisch und intuitiv, um ihre Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien dieses Transformationsprozesses befinden. Aktuell befinden sich die meisten Unternehmen in der Phase des organisatorischen Wandels, während einige bereits in die strategische Ausrichtung eintreten. Studienergebnisse legen nahe, dass eine Ablehnung von Veränderungen die Innovationskraft und Attraktivität eines Arbeitgebers beeinträchtigt. Die Überlebenschancen für Unternehmen, die diesen Wandel nicht annehmen, sind mittel- bis langfristig eher schlecht einzuschätzen. Der Fokus liegt nun darauf, die neuen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der modernen Zusammenarbeit im rechtlichen Kontext zu regeln.

Wie können Arbeitgeber eine Form des mobilen Arbeitens anbieten, ohne dass dies einklagbar ist bzw. worauf müssen Arbeitgeber achten, wenn Arbeitnehmer mobiles Arbeiten einfordern?

Ein gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice oder mobile Arbeit besteht nicht. Um diese Arbeitsformen zu ermöglichen, ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber (AG) und Arbeitnehmer (AN) erforderlich. Der AG kann mobile Arbeit außerhalb der Wohnung einseitig anordnen, jedoch nicht das Arbeiten im Homeoffice gegen den Willen des AN. In der Vereinbarung sollten Kernzeiten, Kostenübernahme, Arbeitsschutz und Datenschutz geregelt werden. Unter bestimmten Bedingungen benötigt der AG ein Zutrittsrecht und muss den AN arbeitsschutzrechtlich unterweisen. Es wird empfohlen, das Homeoffice auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu beschränken. Die Vereinbarungen können individuell oder kollektiv getroffen werden und sollten schriftlich fest-gehalten werden, um rechtliche Anforderungen zu erfüllen. Die Regelungen sollten auch die Anzahl der Homeoffice-Tage und eine Beendigungsmöglichkeit des Homeoffice umfassen. Wenn der AG nur kurzfristig oder in Einzelfällen Homeoffice ermöglichen möchte, sollte deutlich gemacht werden, dass dies keinen dauerhaften Anspruch auf Homeoffice begründet.

Für erfolgreiches mobiles Arbeiten müssen die Bedürfnisse der AN und die Unternehmensziele berücksichtigt werden. Dabei sollte stets auf die höchste Produktivität geachtet werden. Vertrauen und Zusammenarbeit sind entscheidend und sollten durch offenen Dialog gefördert werden. Führungskräfte spielen eine wichtige Rolle, indem sie ihre Mitarbeiter befähigen, eigenständig und verantwortungsvoll zu arbeiten. Mobiles Arbeiten erfordert Selbstorganisation, Entscheidungsfähigkeit und Selbstmotivation der Mitarbeiter. Klare Richtlinien und Vereinbarungen sind notwendig, um Erwartungen, Ressourcen, Kommunikation und Informationsfluss festzulegen. Dadurch entsteht Transparenz, Fairness und psychologische Sicherheit. Führungskräfte sollten auch die potenziellen Risiken wie soziale Isolation, Work-Life-Balance-Probleme und veränderte Teamdynamiken berücksichtigen und entsprechende Strategien entwickeln, um diese negativen Auswirkungen zu minimieren und eine gesunde Arbeitsumgebung zu fördern.

Gibt es ein Recht auf Gleichberechtigung in der Belegschaft?

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz besagt, dass der AG nur dann unterschiedlich behandeln darf, wenn es einen sachlichen Grund dafür gibt. Wenn der AG einigen Mitarbeitern erlaubt, im Homeoffice zu arbeiten, können alle nicht begünstigten AN einen Anspruch auf Homeoffice haben, sofern der AG keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung hat. Es ist jedoch zu beachten, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nur gilt, wenn die AN vergleichbare oder ähnliche Tätigkeiten ausüben. Handwerker und Mitarbeiter in der Metallverarbeitung können aufgrund der ortsgebundenen Art ihrer Tätigkeiten in der Regel kein Homeoffice nutzen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Ungleiches nicht gleich gemacht werden kann. Produktions- und Büromitarbeiter haben unterschiedliche Aufgabenbereiche, und daher ist es praktisch nicht möglich, das gleiche Angebot für beide Gruppen zu schaffen. Unternehmen sollten dennoch gleichwertige Angebote schaffen, um Mitarbeitermotivation, Zufriedenheit und Produktivität zu verbessern. Im produzierenden Bereich könnte dies z.B. durch Budgetverantwortung, Kreativräume oder erhöhte Mitbestimmung in der Schichtplanung erfolgen. Auf diese Weise kann eine ausgewogene Behandlung in der Belegschaft erreicht werden.


Die Abbildung verdeutlicht die Einflussfaktoren auf die Arbeitswelt. Das (Arbeits-)recht ist ein Faktor, der sich auf die Entwicklung des Organisationsmodells auswirkt.

„Aus der Not eine Tugend machen!“

Insgesamt zeigt sich, dass für die Möglichkeiten neuer Arbeit kein allgemeiner gesetzlicher Anspruch besteht und individuelle bzw. flexible Vereinbarungen zwischen AG und AN getroffen werden müssen. Bei allen Maßnahmen, die Unternehmen im Rahmen der Transformation hin zur neuen Arbeit vornehmen, sollte der Produktivitätsgedanke stets im Fokus stehen. 


Autor:innen

Marcus Dodt ist Head of Research bei der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte in den Bereichen Higher Education, Corporate Development, Market Research und New Work und ist als zertifizierter Scrum Master in diesen Projektumfeldern tätig.

Daniel Brugger ist Mitgründer und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Initiator und Gastgeber der HINTERHOF TALKS und Mitgründer von dem New Work Labor WELTEN-RAUM in Iserlohn. Darüber hinaus sitzt er in diversen Start-up Beiräten und ist ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Berlin e.V.

Vanessa Völlmecke ist Consultant bei der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Bei #FORTSCHRITT ist Sie in der Organisationsentwicklung tätig und begleitet Organisationen dabei neue Arbeitsweisen zu entwickeln, vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen und den Weg in die Zukunft der Arbeit erfolgreich zu meistern. Ihre Schwerpunkte liegen auf den Themen Arbeits- und Organisationspsychologie und Kommunikation.

Dr. Christian Bloth ist geschäftsführender Partner bei kallan Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Er leitet die Arbeitsrechts-Gruppe und verfügt als Fachanwalt im Arbeitsrecht über eine mehr als zwanzigjährige Berufserfahrung. Er verfügt über ein weites Spektrum an Erfahrungen sowohl im Bereich des Kollektiv- wie auch Individualarbeitsrechts.

Jonas Anders ist Rechtsanwalt und Teil der Arbeitsrechtsgruppe bei kallan Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Er berät hier in Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts und angrenzenden Rechtsgebieten. Ferner wirkt er bei arbeitsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang von Unternehmenskäufen und Betriebsübergängen mit.

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Daniel Brugger
Über
Daniel Brugger
Daniel Brugger ist Co-Founder und Geschäftsführer der Think-Tank-Beratungsgesellschaft #FORTSCHRITT. Er ist Experte für Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien. In diesem Zusammenhang liegen seine Schwerpunkte auf der erfolgreichen Implementierung von Geschäftsmodellen und der Digitalisierung von Prozessen sowie strategischen Corporate Finance Elementen.
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