In einer sich immer schneller drehenden Wirtschaftswelt ist kontinuierlicher Wandel für viele Unternehmen zum Dauerzustand geworden. Das Problem: Oftmals passt die Organisationsstruktur von Unternehmen oder Teilbereichen nicht mehr zu den Herausforderungen der Zeit. Welche Strukturen aber wären adäquat in einem sich immer schneller – und teilweise sogar disruptiv – verändernden System?
Der Wissenschaftler und Unternehmensberater Dr. Richard Pircher erklärt in seinem Buch „Agilstabile Organisationen“, die hierarchische Organisationsstruktur existiere seit Jahrhunderten und decke sich einfach nicht mehr mit den Anforderungen neuzeitlichen Unternehmertums. Zu starr sei die Hierarchiepyramide. Tatsächlich bringt eine hierarchisch strukturierte Organisation vor allem bei der Innovationsentwicklung erhebliche Schwierigkeiten mit sich. So handeln Manager oftmals im Sinne ihrer eigenen Position, auch gegen das Interesse des Unternehmens. Da Innovationsprojekte immer ein gewisses Risiko bergen, geben Verantwortliche ungern Budgets dafür frei – aus Angst, die erworbene Macht- und Prestige-Position zu gefährden.
Aber auch Mitarbeiter überlegen sich genau, was sie ihren Vorgesetzten sagen und tragen im Zweifelsfall Entscheidungen „von oben“ mit, von denen sie wissen, dass sie in die falsche Richtung gehen. Oder die in der Managementebene getroffene Entscheidung kommt durch das „Stille-Post“-Verfahren so verzerrt bei den Mitarbeitern an, dass diese überhaupt nichts mehr damit anzufangen wissen. Kurz gesagt: in der dynamischen Umwelt von heute stößt die starre hierarchische Organisationsstruktur an ihre Grenzen. Denn sie führt oftmals zum Tunnelblick der Geschäftsleitung und Silo-Denke in den Geschäftsbereichen.
In einer zunehmend komplexeren Welt sind neue Organisationsformen notwendig – Strukturen, die auf das Knowhow aller Mitarbeiter zurückgreifen. Dadurch können Unternehmen Probleme aus unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachten und haben eine viel breitere Wahrnehmung auf die Herausforderungen der Zeit. Wer aus seinem Unternehmen eine Kooperationsgemeinschaft formt, in der alle ihren Platz kennen, kann nachhaltig flexibler auf unerwartete Ereignisse reagieren. Zu solchen Organisationsansätzen gehören unter anderem Holocracy, Schwarmintelligenz, Soziokratie oder Netzwerkorganisationen.
Gemein ist diesen Ansätzen, dass die Entscheidungsfindung auf allen in der Organisation Beteiligten verteilt und somit das Gesamtwissen angezapft wird. Das bedeutet für Führungskräfte, Kontrolle abzugeben und den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zuzugestehen Verantwortliche, die ihr Unternehmen auf kontinuierliche Transformation justieren möchten, müssen sich von der dogmatischen Eltern-Kind-Logik verabschieden und ihre Mitarbeiter an der Gestaltung teilhaben lassen.
Wer Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einbindet, erhöht deren Motivation und Identifikation mit ihrer jeweiligen Rolle im Team. Können Mitarbeiter mitgestalten, erkennen Sie viel stärker den Sinn ihrer Unternehmung. Die Organisation wird dadurch wesentlich beweglicher, der kreative Output und das Innovationspotenzial größer. Die Herausforderung für Verantwortliche liegt darin, die Haltung der Mitarbeiter zu verändern. Das gelingt in der Regel, wie in vielen Transformationsprozessen, mit einem ganzheitlichen Kulturwandel im Unternehmen. Nur, wer sein Verhalten ändert, kann auch seine Haltung ändern.
Dennoch gehen manche Unternehmen anders herum vor. Brian Robertson, der Erfinder von Holocracy, sagt: „Struktur isst Kultur zum Mittag“. So erhielten die Mitarbeiter des Modehändlers Zappos eines Tages eine E-Mail, in der ihr CEO Tony Hsieh die neue Struktur vorstellte – und denjenigen Mitarbeitern einen Aufhebungsvertrag anbot, die sich damit nicht identifizieren konnten. Hier stellt sich die Frage, wie nachhaltig es ist, wenn Manager Ihre Belegschaft vor vollendete Tatsachen stellen.
Es lassen sich mindestens drei Wege beschreiben, die Unternehmen in Richtung Kooperationsgemeinschaft gehen können. So greifen viele Unternehmen auf schon erprobte Ansätze zurück, wie Agile oder Holocracy – und nutzen diese als Blaupause. Zappos‘ Struktur ist Holocracy, die Daimler-Tochter Moovel ist agil aufgestellt. Ein weiterer Ansatz ist, eine ganz eigene Organisationsstruktur zu entwickeln, wie die Mini-Factories der französischen Druckgießerei Favi. Hierfür sind ein langer Atem und ein eingeschworenes Team notwendig. Der Kulturwandel sollte dafür schon vollzogen worden sein. Ein Mittelweg zwischen den beiden Ansätzen ist der „Mix & Match“ Ansatz: Hier suchen sich Unternehmen aus verschiedenen Ansätzen die für sie passenden Module heraus und puzzeln sich daraus ihre Struktur zusammen.
Erforderlich dafür ist ein lückenlos vorbereiteter und akribisch durchgeführter Kulturwandel. Die Belegschaft muss verstehen, dass sie die Komfortzone verlässt und so schnell auch nicht wieder dorthin zurückkommt. Verantwortliche sollten hierbei ihr Kommunikationsgeschick unter Beweis stellen: Dazu gehört, simple und unmissverständliche Handlungsgrundsätze auszurufen, eine Konsequenz-Kultur zu etablieren, Business-Verhinderer zu identifizieren und zu neutralisieren sowie die Motivation aller Beteiligten kontinuierlich zu fördern. Für solche Aufgaben ist Mut und Ausdauer gefragt. Es kann hilfreich sein, erfahrene Wegbegleiter von außen einzubeziehen, die auf Business-Transformation spezialisiert sind: Partnerunternehmen, Beratungen oder Interim Manager, die den nötigen Blich von außen mitbringen und für das Veränderungsvorhaben eine andere Sichtweise beisteuern.
Die Hierarchie-Pyramide schien über Jahrhunderte der sichere Fels in der Brandung, stößt mittlerweile aber an Ihre Grenzen. Heute sollten Verantwortliche ihre Mitarbeiter zu Unternehmern im Unternehmen entwickeln, die – einem Ameisenhaufen ähnlich – in ihrer geschlossen Gesamtheit eine lebendige und agile Organisation bilden. Führung in der Transformation bedeutet, sich von gussfertigen Konzepten zu verabschieden und Mitarbeitern Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume zu geben, statt Beschlüsse von oben durchzudrücken.