Konformismus ist eine Haltung, die Stillstand verursacht. Um aber die Zukunft zu meistern, brauchen wir Menschen, die mit Entdeckerfreude, Gestaltungslust, neugierigem Infragestellen und umtriebigen Ideen Konventionen durchbrechen und Trittsteine ins Neuland legen.
Vor Jahren machte der Psychologe Solomon Asch ein interessantes Experiment: Mehrere Gruppen mit je sieben Probanden sollten den längsten von drei dargebotenen Stäben benennen. Das war wirklich einfach: Der längste Stab war mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Die Gruppe war allerdings manipuliert. Sechs der Teilnehmer in jeder Gruppe waren eingeweiht und benannten geschlossen den falschen, nämlich den kurzen Stab. Die meisten der echten Probanden folgten nun dem Mehrheitsbeschluss – obwohl sie wussten, dass dieser falsch war.
Was verdeutlicht: Gruppenzwänge erzeugen Konformismus, der in diesem Fall harmlos war, oft aber sehr gefährlich sein kann. Konformismus ist eine Haltung, so der Duden, „die durch Angleichung der eigenen Einstellung an die herrschende Meinung gekennzeichnet ist.“ Konformismus knipst das kritische Denken aus und fügt sich unreflektiert in die gängigen Vorgehensweisen. Das Kritikvermögen versandet, Uniformität und Gleichschritt stellen sich ein. Trägheit und Innovationsfeindlichkeit sind die Folge.
Betrachten wir die Unterschiede zwischen Konformismus und Nonkonformismus genauer:
Solche Systeme erzeugen eine Haltung, die die eigenen Denk- und Handlungsweisen an die herrschende Meinung angleicht und sich – unter Aufgabe eigener Individualität – bedingungslos an die bestehenden Verhältnisse anpasst. Diese Haltung entspringt einem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und/oder ist das Ergebnis eines Konformitätsdrucks, den das jeweilige System erzeugt.
Entlang einer Richtschnur von Standards, Regeln und Normen folgen die „Bewohner“ konformistischer Systeme dem, was ge- oder verboten ist. Der Grad des Gehorsams wird über Kontrollmechanismen, Disziplinarmaßnahmen und/oder Incentive-Programme bestraft beziehungsweise belohnt. Zwangsläufig haben so die wenigsten den Mut, aus der Reihe zu tanzen und offen nonkonformes Verhalten zu zeigen.
Solche Systeme lassen es zu, unabhängig von der herrschenden Meinung eigene Einstellungen zu entwickeln sowie auch andere als die bestehenden Auffassungen zu vertreten und umzusetzen. Insofern sind nonkonformistische Systeme agil. Agil ist der Gegenpol von schwerfällig, träge, unbeweglich – also wendig, biegsam, mobil. Agilität geht offen und flexibel mit Veränderungen und Ungewissheiten um. Das macht ein System bei Druck von außen robust.
Nonkonformistische Systeme pflegen Augenhöhe, Kooperation, Transparenz, Freiheit, Vertrauen, Wertschätzung und Respekt. Ihnen gelingt es, verkrustete Strukturen aufzubrechen, behäbige Planungen dynamisch zu machen, leichtfüßige Abläufe einzuführen und überbordende Bürokratie auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen. Den dort Tätigen ist es erlaubt, neben der Spur zu fahren, gegen den Strom zu schwimmen, neue Wege zu beschreiten, originelle Ideen zu verfolgen. Sie agieren in operativen Belangen eigenverantwortlich und selbstorganisiert.
In Traditionsunternehmen, die man gerne als „Old School“ bezeichnet, gibt es meist ein hohes Maß an Konformismus, das ist systemimmanent. Allerdings gibt es unter ihnen auch fortschrittliche Fälle, wo nonkonformistisch gedacht und gehandelt wird, weil solches Handeln dort ausdrücklich erwünscht ist und dementsprechend unterstützt wird. Umgekehrt gibt es auch in jungen Unternehmen konformistisches Denken und Handeln.
In jeder Firma gibt es Bereiche, wo Konformismus und bewährte Ordnungsstrukturen durchaus angebracht sind. Dies vor allem da, wo es Routineaufgaben, vorhersehbare Marktbedingungen und Reglementierungen gibt. Unbestreitbar braucht es auch dann strikte Ablaufpläne, wenn es um eine höchstmögliche Sicherheit geht.
Doch grundsätzlich dürfen Ordnungssysteme nie so einengend sein, dass dadurch Anpassung verlangsamt und Fortentwicklung ausgebremst wird. Geht es um das Erkunden von Neuem, sind Routinen geradezu tödlich, weil sie den Blick für alles Andersartige verbarrikadieren. Je dynamischer das Marktgeschehen, desto mehr wird Nonkonformismus gebraucht, um schnelle Anpassungen möglich zu machen.
Richtig gute Firmen sind fortwährende Experimentierer. So kann, sollte und müsste jeder interne Bereich für sich einmal aufrichtig klären, wie viel Konformismus tatsächlich notwendig ist und wie viel Nonkonformismus angebracht wäre, um jederzeit manövrierfähig zu bleiben und das Vorankommen des Unternehmens zu sichern.
Nun die spannende Frage: Welchem Typ entspricht denn Ihr Unternehmen? Dabei gibt es kein „Entweder-oder“, sondern ein Kontinuum, das sich auf einer Skala abbilden lässt. Dazu habe ich einen kleinen Test mit Beispielfragen vorbereitet. Diese Fragen sind positiv im Sinne einer erwünschten Sollsituation formuliert. Wer sie negativ formulieren will, macht Defizite knallhart sichtbar. Natürlich können Sie eigene, geeignetere Fragen verwenden und/oder den Fragebogen ergänzen.
Machen Sie den Test dann zunächst selbst. Markieren Sie auf der jeweils abgebildeten Skala, wo Sie Ihr Unternehmen verorten. Dabei ist null der Minimalwert, zehn der Maximalwert. Ergänzen Sie weitere Fragen, wenn nötig. Markieren Sie die Einzelwerte. Errechnen Sie dann daraus den Mittelwert.
Selbsttest für Ihr Unternehmen: Konformistisch oder nonkonformistisch?
Nicht nur das Selbstbild ist wichtig, auch ein Fremdbild ist wertvoll. Holen Sie dazu die Meinung ihrer Teammitglieder ein. Übergeben Sie ihnen den Fragebogen, der still ausgefüllt wird. Jeder errechnet seinen Mittelwert. Die Elfer-Skala kommt auf eine Pinnwand. Drehen Sie die Pinnwand dann um. Bitten Sie die Teilnehmer einzeln nach vorne. Bitten Sie überdies darum, den Wert wie berechnet zu platzieren. Warum das? Es gibt eben Menschen, die dazu neigen, sich Mehrheitsmeinungen anzuschließen.
Wenn alle ihre Meinung abgegeben haben, wird das Ergebnis diskutiert: Was bedeutet das für uns? Warum ist das so? Welche Auswirkungen hat das für uns? Was macht Konformismus so gefährlich? Wie können wir uns davon befreien und uns aus der Vergangenheit lösen? Wo wollen wir hin? Was wäre ein erstes Etappenziel? Welches sind die dafür notwendigen Schritte? Und weshalb ist das konstruktive Quer- und Weiterdenken dürfen bei all dem so entscheidend?
Wo kluge firmeninterne Freigeister, Weiterdenker und Andersmacher nicht aktiv werden dürfen, verstärken sich die Beharrungstendenzen – und damit droht ein schnelles Aus. Dort hingegen, wo sie Repressalien-frei wirken können, löst sich das gesamte Unternehmen von überholtem Tun und herkömmlichen Vorgehensweisen. Mit Wagemut und Durchhaltevermögen findet es neue, andere, bessere Wege zum Ziel.
Etablieren Sie deshalb eine Erlaubniskultur zum Experimentieren. Identifizieren Sie Ihre Querdenkenden und starten Sie mit ihnen gemeinsam passende Aktivitäten, um konkurrenzfähig zu bleiben und zukunftssicher zu werden. Tummeln sich viele Freigeister in einer Firma und lässt man sie weiträumig machen, kann ein Anbieter auch in ungewissen Zeiten gut überleben.
Viel mehr dazu in meinem neuen Buch „Querdenker verzweifelt gesucht. Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt“.