
In vielen Führungsetagen hat sich ein gefährlicher Glaubenssatz etabliert: die Jagd nach dem perfekten Plan. Das Resultat ist der gefürchtete Hockey-Stick-Effekt – monatelange Analyse-Paralyse, gefolgt von einem panischen Endspurt kurz vor der Deadline. Doch in einer Welt permanenter Disruption ist diese Jagd eine Falle. Erfolg haben nicht die besten Planer, sondern die konsequentesten Umsetzer. Wahre Stärke liegt nicht in der Eleganz der Strategie, sondern in der brutalen Effektivität ihrer Ausführung.
Grafik: Die Umsetzungsfalle: Fortschritt über Perfektion
Nach über 20 Jahren im Einkauf, zuletzt als Chief Procurement Officer bei MANN+HUMMEL, habe ich gelernt: Transformation ist die ultimative Verhandlung mit der Zukunft. Sie erfordert dieselbe Klarheit, denselben unerschütterlichen Fokus auf das Ergebnis. Heute, als Chief Performance Officer, übertragen mein Team und ich genau diese Prinzipien auf den Wandel unseres gesamten Unternehmens.
Ein Appell an ein neues Mindset verhallt wirkungslos, wenn der Kontext ihn nicht trägt. Führungskräfte sind Architekten dieses Kontexts – sie gestalten Prozesse, steuern Kommunikation und definieren, was als Erfolg gefeiert wird.
Die Bewährungsprobe für diesen Ansatz folgte 2024 bei der globalen Neuaufstellung unserer Kreditorenbuchhaltung. Die Verlagerung in ein Shared Service Center bei gleichzeitiger Einführung neuer Software führte zu einem klassischen „Blame Game“ über Zeitzonen hinweg.
Der Durchbruch kam erst, als wir radikale Eigenverantwortung einforderten. Eine funktionsübergreifende Taskforce schuf nicht nur technische Lösungen, sondern vor allem psychologische Sicherheit. Indem wir aufhörten, Schuldige zu suchen, und stattdessen eine „One Team“-Haltung vorlebten, entstand die Vertrauensbasis, die jede tiefgreifende Veränderung erst ermöglicht.
Die wirksamsten Lösungen entstehen an den Schnittstellen, nicht in den Silos. Als der Inflationsschub 2022 nach dem Angriff auf die Ukraine die Kosten explodieren ließ, wurde dies zu unserem strategischen Wendepunkt. Statt auf perfekte Datentools zu warten, die Monate gebraucht hätten, aktivierten wir eine „War Room“-Dynamik. Ad-hoc-Teams aus Einkauf und Vertrieb improvisierten in täglichen Meetings und schufen so in kürzester Zeit die nötige Transparenz, um mit Kunden und Lieferanten gleichermaßen handlungsfähig zu bleiben. Diese Erfahrung hat nicht nur eine Krise gelöst, sondern einen neuen Muskel innerhalb der Organisation trainiert: die Fähigkeit, unter Druck crossfunktional zu agieren und Geschwindigkeit über formale Perfektion zu stellen.
Um Geschwindigkeit und Richtung zu synchronisieren, nutzen wir eine Methode, die die Zukunft in die Gegenwart holt: das B-A-Denken. Wir starten nicht bei der Analyse der Gegenwart (Punkt A), sondern bei einem ambitionierten, emotional verankerten Zielbild der Zukunft (Punkt B). Von dort aus arbeiten wir rückwärts und definieren die „Puzzlestücke“ – die Initiativen, die die Lücke zwischen Vision und Realität schließen.
Ein Beispiel: Statt zu fragen „Wie können wir unsere Durchlaufzeit von 45 auf 40 Tage reduzieren?", fragen wir „Wie sieht eine Organisation aus, die Kunden in 15 Tagen beliefert?" Von diesem Zielbild aus arbeiten wir rückwärts und definieren die „Puzzlestücke" – die Initiativen, die die Lücke zwischen Vision und Realität schließen.
Diese Initiativen übersetzen wir in Objectives and Key Results (OKRs). Sie machen den Erfolg messbar und die Verantwortung unmissverständlich. Jedes Objective beschreibt das „Warum" und „Was", jedes Key Result das „Wann" und „Wieviel".
In kurzen Sprints – typischerweise Quartale – wird der Fortschritt vorangetrieben. Regelmäßige Check-ins, die auf drei simplen Fragen basieren, ersetzen endlose Status-Meetings:
Diese Routine schafft Rhythmus und Transparenz. Der gefürchtete Hockey-Stick-Effekt wird vermieden, und eine Kultur der kontinuierlichen Umsetzung verankert sich in der DNA des Unternehmens.
Grafik 2 Von der Vision zur Umsetzung mithilfe von OKRs
Am Ende zählt nicht, wie brillant die Strategie auf dem Papier war, sondern welches Ergebnis sie in der Realität erzielt. In einer Ökonomie der Unsicherheit ist „Fortschritt statt Perfektion“ mehr als ein Slogan – es ist ein Prinzip und eine Philosophie. Es bedeutet, den Mut zu haben, zu starten, die Intelligenz, unterwegs zu lernen, und die Disziplin, Kurs zu halten. Organisationen, die diesen Rhythmus meistern, entwickeln die entscheidende Fähigkeit des 21. Jahrhunderts: die permanente Anpassungs- und Umsetzungsfähigkeit.