Das Konzept der Doppelten Wesentlichkeit

Das Konzept der Doppelten Wesentlichkeit

 
13. Mai 2024

In der Berichterstattungspflicht nach CSRD und den dazugehörigen Nachhaltigkeitsstandards ist der Grundsatz der Doppelten Wesentlichkeit verankert. Die Anwendung des bekannten Management-Tools der Wesentlichkeitsanalyse wird um die Inside-out- und Onside-in-Perspektive erweitert und kommt dabei ins Spiel. Sie dient Unternehmen, die für sie wesentlichen themenspezifischen Berichtsinhalte festzulegen und zu begründen.

Für das Vorhaben der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichtes ist zunächst die Auswahl des Referenzrahmens entscheidend. Für große Unternehmen in Europa ist dies bereits oder in absehbarar Zeit verpflichtend die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie ist die Weiterentwicklung der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) und stellt die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung, indem sie den Lagebericht zu ergänzen hat. Teil der CSRD sind einheitliche EU-Standards für Nachhaltigkeitsinformationen, die sogenannten European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Unternehmen müssen die darin aufgeführten allgemeinen Standards sowie die für sie wesentlichen (themen-)spezifischen Standards bei der Offenlegung berücksichtigen.

Die themenspezifischen Nachhaltigkeitsstandards der ESRS stehen unter dem Vorbehalt der Wesentlichkeit

Die ESRS umfassen 86 Berichtsanforderungen mit über 1000 Datenpunkten. Diese müssen nicht alle berücksichtigt werden, denn auch dem Gesetzgeber ist klar, dass dies den Rahmen des Machbaren überschreitet. Deswegen stehen die themenspezifischen ESRS unter dem Vorbehalt der Doppelten Wesentlichkeit. Die allgemeinen Angaben müssen hingegen getätigt werden, während unternehmensspezifische Angaben nur gemacht werden dürfen, wenn diese für das Verständnis des Berichtes und der Aktivitäten des Unternehmens funadamental sind. Branchensprzifische Standards werden aktuell von der EFRAG ausgearbeitet und in den nächsten Jahren veröffentlicht.

Der Gesetzgeber gibt für die Ermittlung der unternehmensindividuellen wesentlichen themenspezfischen Nachhaltigkeitsstandards ein Management-Tool vor, welches bereits in anderen Zusammenhängen schon langjähring genutzt wird. Die sogenannte Wesentlichkeitsanalyse wird im Kontext der CSRD/ESRS um eine Perspektiverweiterung auf Basis der Doppelten Wesentlichkeit ergänzt. Unter Anwendung dieser Analyse können die Berichtspflichten für das jeweilige Unternehmen auf die wesentlichen themenspezifischen Nachhaltigkeitsaspekte reduziert werden.

Anders ausgedrückt: Mit der Wesentlichkeitsanalyse wird die Bodenplatte für die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit gelegt, indem neben den finanziellen Chancen und Risiken, die positiven und negativen Auswirkungen des Unternehmens betrachtet werden. Bereits hier entscheidet sich, ob eine Berichterstattung auf das Wesentliche konzentriert und damit gesetzeskonform ist. Denn wie auch bei der finanziellen Berichterstattung darf der Nachhaltigkeitsbericht nur relevante Informationen enthalten.


Grafik: Der Stakeholderdialog und die Wesentlichkeitsanalyse als Basis für die Berichterstattung und Umsetzung

Mit der Wesentlichkeitsanalyse die Grundlage für den Nachhaltigkeitsbericht legen

Beide Dimensionen der Wesentlichkeit der Auswirkungen (Inside-out-Perspektive) und die finanziellen Chancen und Risiken (Outside-in-Perspektive) sind in einer oder-Verknüpfung verbunden und dementsprechend singulär zu betrachten. Das bedeutet, dass bereits eine eindimensionale Wesentlichkeit zu einer Berichtspflicht eines Aspektes führt. Darüber hinaus hat das berichtspflichtige Unternehmen zu erarbeiten, welche Stakeholder, in welchem Format eingebunden werden.

In den ESRS-I (Allgemeine Anforderungen) werden die methodischen und prozessualen Prinzipien für die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse dargestellt. Auch der sich noch im Entwurf befindende Leitfaden der EFRAG gibt Hilfestellung, damit nachvollziehbare und prüfungssiche Ergebnisse und deren angemessene Dokumentation erarbeitet werden können. Der sich daraus ergebene Gestaltungsspielraum kann für Unternehmen eine Herausforderung darstellen, denn es braucht Erfahrung und Fachwissen, um die Wesentlichkeitsanalyse angemessen umzusetzen.

Von der singulären Shareholder-Betrachtung zur mehrdimensionalen Stakeholder-Betrachtung

Eine Wesentlichkeitsanalyse ist ein iterativer Prozess und muss jährlich im Rahmen der Berichtserstattungspflicht wiederholt bzw. angepasst werden. Die folgenden acht schritte zeigen vereinfacht eine mögliche Vorgehensweise für die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse:

  1. Einarbeitung in die CSRD/ESRS, Festelung von unternehmensinternen Verantwortlichkeiten und Identifikation der internen und externen Stakeholder
  2. Recherche zu den Nachhaltigkeitsthemen und Durchführung sowie Auswertung der Stakeholderdialoge 
  3. Sammlung und Bewertung der Nachhaltigkeitsaspekte hinsichtlich der Auswirkungen und finanziellen Wesentlichkeit
  4. Priorisierung der Aspekte hinsichtlich Dringlichkeit, Wirkhebel, Machbarkeit und zu erwartenden Auswirkungen
  5. Identifikation und Festelgung der wesentlichen Berichtsinhalte
  6. Überprüfung und Anpassung der Wesentlichkeitsanalyse in den folgenden Berichtsjahren
  7. Kontinuierlicher Stakeholderdialog und ggf. Anpassung der Unternehmensstartegie in Bezug auf die Einbindung der und die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern

Auch hier gilt der bekannte Lehrsatz: Jede Strategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Das bedeutet, dass auf Basis des Stakeholderdialoges und der Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der CSRD/ESRS verständliche, messbare und umsetzbare Ziele zu formulieren und zu adressieren sind. Die Dokumentation des Status-Quo alleine ist kein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Erst die Umsetzung von wesentlichen Maßnahmen in den entscheidenden Handlungsfeldern des Unternehmens bringt uns näher an die Ziele des Green Deals. Die Berichterstellung und -prüfung inklusive der Wesentlichkeitsanalyse nach der Doppelten Wesentlichkeit sind erste Schritte in Richtung von mehr Transparenz und Bewusstsein für die Nachhaltigkeitsthemen.

Jede Wirtschaftlichkeitsberechnung, jeder Investitionsplan und jeder Sanierungsplan wird zukünftig um eine erweiterte Risikobetrachtung ergänzt und beurteilt.

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Dr. Peter Lender
Über
Dr. Peter Lender
Dr. Peter Lender ist geschäftsführender Gesellschafter der DIGUM GmbH, DIN-ISO-zertifizierter Nachhaltigkeitsmanager und Entwickler des DigitalisierungsAudits sowie von zahlreichen Plattformen und Ökosystemen. Als zertifizierter Sanierungsberater (IFUS-Institut) ist er u.a. Mitbegründer der Geschäftsmodell-Werkstatt, sowie der DigitalisierungsAkademie. Zuvor befasste er sich mit dem Aufbau und der Positionierung von Kunden-Service und User Experience im Rahmen der Transformation von Geschäftsmodellen. Er ist Autor von Fachbüchern und Herausgeber des T4Magazins. In Konstanz hat er hat Volkswirtschaft und in Kiel Agrarökonomie studiert und anschließend als Doktor der Agrarwissenschaften promoviert. Er ist außerdem Diplom Bankbetriebswirt (ADG).
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