Die neue Aktionsrichtung in Unternehmen heißt: quer

Die neue Aktionsrichtung in Unternehmen heißt: quer

 
15. März 2021

Nahezu alle klassischen Unternehmen sind noch immer in Silos organisiert. Doch Silostrukturen sind organisationale Anomalien. Sie sorgen für Abgrenzung, Fachbereichsegoismen und Ineffizienz. Die größte Umsatzverschwendung entsteht aus einem Mangel an crossfunktionaler Zusammenarbeit.

„Quer“ wird in Zukunft zu einem maßgeblichen Stichwort in der organisationalen Struktur. Digitalisierte Innovationen entstehen interdisziplinär. Kundenprojekte werden in fachübergreifenden Teams entwickelt. Prozesse werden crossfunktional optimiert. Bürokratie muss bereichsüberlappend abgebaut werden.

Die Digitalisierung läuft sowieso quer durch das gesamte Unternehmen, sie betrifft alles und jeden. Mit der Agilisierung ist es das Gleiche. Sie muss jeden Winkel im Unternehmen erfassen. Auch eine Kundenreise, die Customer Journey, verläuft quer durch die Unternehmenslandschaft über mehrere Abteilungsgrenzen hinweg.

„Quer“ wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil

Die meisten Probleme, die Kunden bekommen, passieren über Abteilungsgrenzen hinweg: Kommunikations- und Abstimmungsprobleme im Gerangel zwischen Zuständigkeiten, Bereichshoheiten, Abschottung, Planvorgaben und Budgets. Wer das überwindet, dem sind entscheidende Wettbewerbsvorteile sicher.

Dafür werden zunehmend Menschen gebraucht, die Verbindungen schaffen, Separiertes zusammenführen, Einzelprojekte synchronisieren und über alle Machtbereiche hinweg gangbare Wege ins Neuland ebnen. Hierzu zählen auch Koordinatoren, die die gesamte Firma agilisieren, das Zusammenspiel zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz organisieren und Mensch-Maschinen-Interaktionen geschmeidig machen. Zudem müssen neuartige Partnerschaften zwischen Alt- und Jungunternehmen sinnvoll zusammengekoppelt werden.

Siloorganisation vs. horizontaler Unternehmensausrichtung

Klassische Unternehmen organisieren sich in Silostrukturen. Zukunftsfähige Unternehmen organisieren sich „quer“, also interhierarchisch und interdisziplinär.

Firmenintern sind technologische Brücken zu bauen, weil die Digitalisierung alle Bereiche betrifft, sie lässt sich nicht in eine Abteilung sperren. Junge Digitalexpertise und gutes altes Erfahrungswissen müssen ineinander verwoben werden. Ferner müssen sich die verschiedenen internen Innovationsprojekte und ihre Teams miteinander verbinden. Bislang arbeiten diese oft für sich isoliert. So kann es leicht zu parallel verlaufenden Entwicklungen kommen, ohne dass der eine vom anderen weiß.

Vernetzte Kunden verlangen ein vernetztes Unternehmen

Natürlich werden auch Menschen gebraucht, die als Stimme der Kunden im Unternehmen agieren und die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Interesse der Kunden harmonisieren. Wenn sich in der Außenwelt alles vernetzt, muss das auch drinnen im Unternehmen passieren. Doch Silostrukturen verhindern dies oft. Die Hauptaktionsrichtung in Silos verläuft ja vertikal, also top-down und wieder zurück.

Demgegenüber verläuft eine typische Customer Journey, die „Reise“ des Kunden durch die Unternehmenslandschaft, immer quer über mehrere Abteilungsgrenzen hinweg. Insofern sind hier „Brückenbauer“ vonnöten, die als Verbindungslinks zwischen drinnen und draußen bereichsübergreifend agieren. Sie werden installiert, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu unterstützen, Synergien zu entwickeln, Ineffizienzen zu eliminieren und die Wertschöpfung zu optimieren.

Ein vernetzter Kunde verträgt keine unvernetzte Organisation. Vielmehr verlangt er, analog seiner Customer Journey, eine hochflexible und miteinander verzahnte, seinen Interessen dienende crossfunktionale Zusammenarbeit. Passiert das nicht, wandert er schleunigst von dannen – und erzählt im Web der ganzen Welt, warum das so ist. Damit geht nicht nur Umsatz verloren, es kommen auch keine neuen Interessenten und Käufer. Darüber hinaus ist jede Kundenunannehmlichkeit ein Einfallstor für Disruptoren.

Funktionssilos sind organisationale Anomalien

In Silos stehen die einzelnen Bereiche zueinander in Konkurrenz. Abgrenzungsstrategien sind die Folge. In die Hoheitsgebiete anderer greift man nicht ein, selbst wenn da der größte Blödsinn passiert. Und „die da“ lassen das auch nicht zu. Viel Energie wird mit Schuldzuweisungen und Nichtzuständigkeitsdeklarationen verplempert. Statt gemeinsame Lösungen ins Auge zu fassen, schiebt man einander den „Schwarzen Peter“ zu. Und schuld sind natürlich immer die anderen.

Für einen Kunden ist all das indiskutabel. Er betrachtet ein Unternehmen immer als Ganzheit. Ihm ist es schlichtweg egal, was hinter den Kulissen passiert, wer wofür zuständig ist, und warum es wo klemmt. Abteilungsgrenzen und Abstimmungsprobleme interessieren ihn nicht. Ob eine Lösung aus dem Service, dem Marketing oder dem Vertriebsbereich kommt, ist ihm schuppe. Hauptsache, sie funktioniert.

Doch in siloorganisierten Strukturen will jede Abteilung für sich die beste sein. So entsteht eine Kultur, die Sieger und Besiegte produziert. Im fortwährenden Kampf um Budgetressourcen und die Aufmerksamkeit von ganz Oben reibt man sich beim internen Schaulaufen auf, statt gemeinsam den Kunden zu dienen. Talente werden gebunkert und auf Sparflamme gehalten, damit nur ja keine andere Abteilung auf sie aufmerksam wird. Im schlimmsten Fall stellt man Anderen ein Bein, damit die einen nicht überholen.

In Silos wird die unternehmerische Zukunft verspielt

Der Austausch zwischen den einzelnen Fachbereichen ist in Siloorganisationen nicht nutzenbestimmt, sondern vorrangig politisch getrieben. Es herrscht eine ausgedehnte Absicherungsmentalität. Alles braucht ewig, während es die Silos rauf und runter wandert. Entscheidungsstaus, Unkoordiniertheit, Versäumnisse und gravierende Pannen sind die logische Folge. Vieles wird doppelt gemacht, manches gar nicht, einiges bleibt ewig liegen, das meiste wird in unterschiedlicher Qualität abgeliefert.

Ergo: Silodenke ist mit der Flexibilität, die die Märkte und Kunden heute verlangen, nicht kompatibel. Silos stehen für Abschottung und Isolation, Netzwerke hingegen für Dialog und Zusammenarbeit. Silos erzeugen keine Struktur, sondern Wasserköpfe, die Wertschöpfung verhindern. Durch einen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Mess- und Steuerungsbürokratie sorgen die einzelnen Bereiche ja überhaupt erst für ihre Daseinsberechtigung.

Silos erzeugen auch den berüchtigten Tunnelblick, Netzwerke hingegen eine reiche Rundum-Perspektive. Wirklich Neues entsteht an Schnittstellen, in Randbezirken und dort, wo flexible Einsatztruppen interdisziplinär in Spielräumen agieren – aber niemals in der Starre von Silos. Zudem favorisiert man in Silostrukturen Vorgehensweisen, die für Trennung und internen Wettbewerb sorgen, etwa durch Einzelzielvereinbarungen, individuelle Bonifizierungsprogramme und Einzelperformance-Rankingsysteme.

Abteilungsdenke ist aus Kundensicht inakzeptabel

Ein grundsätzlicher Fehler der Organisationsentwickler war zum Beispiel auch der, dass man die marktorientierte Unternehmensführung eingepfercht hat. So passiert dann genau das, was in einer Abteilung immer passiert: Man teilt sich ab. Eigene Interessen stehen im Vordergrund. Man beschäftigt sich mit sich selbst. Symptomatisch dafür und vielfach gelebte Realität: Statt sich die Bälle zuzuspielen, agieren Online und Offline wie befeindete Units, die einander die Kunden „klauen“. Zwischen Sales und Marketing wird darüber gestritten, wem der Kunde „gehört“.

Gegeneinander statt miteinander ist in vielen Unternehmen leider die Norm. „Die“ im Marketing können bloß bunte Bildchen. „Die“ im Vertrieb fahren nur durch die Gegend. Und „die“ in der Auftragsabwicklung agieren so dilettantisch, dass die mühsam gewonnenen Kunden gleich wieder flüchten. Indes gerät man dort in die Bredouille, weil der Vertrieb, dem die Quartalsziele im Nacken sitzen, unhaltbare Versprechen macht. Ingenieure, die sich für was Besseres halten, hören den Kundendienstlern nicht einmal zu, wenn die von den Hilferufen der Kunden berichten.

Erst dann, wenn sich Wissen und Können im ganzen Unternehmen miteinander verbinden, kann dies zu erstaunlichen Fortschritten führen. Deshalb entstehen jetzt überall Initiativen, bei denen sich die Beschäftigten abteilungsübergreifend und über hierarchische Grenzen hinweg miteinander vernetzen. Einerseits kann die Arbeit hierdurch schneller, effizienter, produktiver und zugleich wohlbefindlicher erledigt werden. Andererseits dienen unkomplizierte Querverbindungen auch den Interessen der zunehmend fordernden Kunden. In „Die Orbit-Organisation“ steht, wie das geht.

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Anne M. Schüller
Über
Anne M. Schüller
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.
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