DIN ISO 26000: Blaupause für ein Nachhaltigkeits-Management?

DIN ISO 26000: Blaupause für ein Nachhaltigkeits-Management?

 
07. Juni 2022

Die bereits im Jahr 2011 veröffentlichte Norm DIN ISO 26000 „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung“ kann Unternehmungen und Organisationen als Basis einer nachhaltigen Entwicklung dienen.


Der DIN ISO 26000 „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung“ bietet einen validen Rahmen für bindende ESG Anforderungen (EU-Taxonomie und CSRD).

DIN ISO 26000 wurde bereits 2005 von über 400 Experten erstellt

Unter Nachhaltigkeits-Managern und Unternehmern steigt die Spannung auf die angekündigte CSRD-Richtlinie mit verbindlichen Vorgaben für eine verpflichtende Nachhaltigkeits-Berichterstattung ab 2023 für große und ab 2024 für kleine und mittelständische Unternehmen. Doch wird das Rad neu erfunden werden? Die bis jetzt öffentlich kommunizierten Informationen lassen auf etwas anderes schließen.

Seit 2004 wurde im Rahmen der entscheidenden ISO-COPOLCO-Konferenz an einem Standard für nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung gearbeitet. Mehr als 400 Experten aus Schwellen- und Entwicklungsländern, sowie privaten und öffentlichen Sektoren haben bis zum Jahr 2010 an der DIN ISO 26000 gearbeitet, bevor diese im Januar 2011 veröffentlicht wurde. So ist die DIN ISO 26000 das Ergebnis eines breiten internationalen Normungsprozesses zur „gesellschaftlichen Verantwortung“ in Bezug auf Ökonomie, Ökologie und Sozialstandards.

Ähnliche Kriterien finden sich auch bei den universellen und themenspezifischen Standards für die internationale Nachhaltigkeitsberichterstattung des GRI (Global Reporting Initiative), die auch vom DNK (Deutscher Nachhaltigkeits-Kodex) als optionale Leistungsindikatoren aufgenommen wurden. Zu einem gewissen Grad spiegeln sie auch die OECD-Leitsätze zur Förderung von verantwortungsvoller Unternehmensführung und die Werte der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN. Leider ist auf Basis dieser nicht-gesetzlich-erforderlichen und nicht-sanktionierten Initiativen und Vorgaben bisher wenig, bzw. vieles in nicht angemessenem Umfang umgesetzt worden. Das Primat der Ökonomie hat die Entscheidungen und Handlungen in den letzten Jahren weiterhin dominiert.

Komplexität managebar machen:

Betrachtet man die Anforderungen an ein Nachhaltigkeitsmanagement, wird schnell deutlich, dass es sich um ein komplexes Querschnittsthema, vergleichbar mit der Digitalisierung, handelt. Unternehmen, die für sich in Anspruch nehmen eine nachhaltige Entwicklung anzustreben, sollten dies glaubwürdig machen und auch entsprechend nachweisen können. Daher ist ein grundlegendes Wissen (Wie sieht das Ziel für unternehmerische Nachhaltigkeit aus, wie lässt es sich erreichen, messen und dokumentieren?) ein wesentlicher Schritt, um dieses komplexe Thema von der Theorie in die Umsetzung zu bringen. Mit der neuen Regulatorik, Transparenz in der Lieferkette und zunehmender Verbreitung von Nachhaltigkeits-Standards wird konsequent gegen „Greenwashing“ und „Bluewashing“ vorgegangen, sodass im Falle eines Vorwurfes, diesem beweisbar entgegnet werden muss.

Normierung von Verantwortung: Begriffe und Abgrenzungen

Zu Beginn eines jeden Prozesses in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung innerhalb einer Unternehmung oder Organisation steht die Frage nach einem gemeinsamen Verständnis bzw. einem allgemein gültigen und akzeptierten Bezugsrahmen. Im zweiten Schritt gilt es das Anspruchsniveau und die Wesentlichkeit zu definieren, welche mit Blick auf die Stakeholder-Gruppen und deren Bedürfnisse und Anforderungen ausgelotet werden sollte. Ausschließlich eine CO2-Messung und Treibhausbilanz zu verfolgen, erfasst das Thema „Nachhaltigkeit“ nur eindimensional und springt zu kurz. Die CO2-Messung ist nur eine wichtige Basis und Kennzahl für das Nachhaltigkeits-Management und wichtiger Aspekt in der Verfolgung des 2-Grad-Ziels.

Der Leitfaden DIN ISO 26000 bietet eine umfassende Unterstützung und praktische Anleitungen für die Formulierung und Umsetzung von nachhaltigen und unternehmensindividuellen Zielen. Die Norm beschreibt, welche Aspekte bei der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung berührt werden und welche Fragen schlüssig von den Mitarbeitenden, dem Management und der Führungsebene beantwortet werden sollten. Dabei werden grundlegende Prinzipien zusammengefasst ohne dogmatische Vorgaben zu geben. Es bleibt Raum für die Adaption auf die eigene Unternehmung bzw. Organisation.

Dreiecksmodell oder 3-Säulenmodell der Nachhaltigkeit

In der herkömmlichen verpflichtenden unternehmerischen Berichterstattung, basiert die Bewertung des Unternehmenswertes auf Vermögenswerten, Markenbekanntheit, Image, Marktdurchdringung, Angebotsbreite, Wertschöpfungstiefe, Mitarbeiterbindung, Marktanteil usw. Im Sinne eines nachhaltigen Unternehmenswertes wird die Perspektive erweitert und dabei die drei Dimensionen, 1. soziale Interessen, 2. wirtschaftliche Interessen und 3. ökologische Interesse gleichgewichtig betrachtet. Die Herausforderung des Managements besteht darin, in diesem Anforderungsdreieck jeweils das Wesentliche zu erörtern und die Anforderungen an eine Zukunftsfähigkeit zu erreichen, ohne eines der Ziele dabei aufzugeben oder überzuordnen.

7 Kernthemen und Kernfragen:

Verdichtet man die Anforderungen der DIN ISO 26000, so ergeben sich 7 Kernbereiche bzw. -fragen:


1. Einbindung und Entwicklung der Gesellschaft: Versteht sich die Unternehmung oder Organisation als Teil ihres Umfeldes und ihrer Umwelt und trägt sie zu deren nachhaltiger Entwicklung bei?
2. Menschenrechte: Werden die normierten Menschenrechte in der Unternehmung oder Organisation innerhalb deren Einfluss- und Verantwortungsbereiches ge- und beachtet? (siehe dazu das Lieferkettengesetz)
3. Organisationsführung: Auf welche Weise und welcher Wertebasis werden in der Unternehmung oder Organisation Entscheidungen getroffen und umgesetzt?
4. Arbeitspraktiken und Arbeitsorganisation: Nimmt die Unternehmung oder Organisation gegenüber ihren direkten und indirekten Mitarbeitenden ihre Verantwortung wahr?
5. Faire Betriebs- und Geschäftspraktiken: Orientiert sich die Unternehmung oder Organisation im Umgang mit anderen Unternehmungen und Organisationen an ethischen Grundsätzen und verhält sich entsprechend moralisch korrekt, redlich und angemessen? (siehe dazu die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns)
6. Umwelt: Berücksichtigt die Unternehmung oder Organisation die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt, sowie das Ökosystem und übernimmt sie Verantwortung für den Klima- und Umweltschutz?
7. Konsumentenanliegen: Übernimmt die Unternehmung oder Organisation die Verantwortung für die Qualität und Folgewirkung ihrer Produkte innerhalb des gesamten Produktzyklus und ist sie erreichbar für die Empfänger ihrer Leistungen?


Von der Zeitpunktbetrachtung zur Prozessanalyse; der PDCA Zyklus

Die Kritik an der bisherigen Umsetzung der DIN ISO 26000 ist die ausschließliche Konzentration auf die Zeitpunktanalyse mit den darauf basierenden Ergebnissen als Ausgangsimpuls im PDCA-Zyklus:


1. Ziele und Soll-Zustände, sowie Verbesserungsmaßnahmen nach Wirksamkeit definieren und planen
2. Maßnahmen nach Plan umsetzen
3. Abgleich mit den gesetzten Zielen und Soll-Zuständen und Prüfung der Wirksamkeitshebel der Maßnahmen
4. Korrekturmaßnahmen ergreifen, um zu lernen und anzupassen


Zu beachten sind bei der Anwendung der DIN ISO 26000 auch die korrespondierende ISO-Normen, wie z.B. die ISO 9001 (Qualitätsmanagement), ISO 14001 usf. (Umweltmanagement); ISO 5001 (Energiemanagement); DIN EN 16247-1 (Energieaudit) und ISO 45001 (Arbeits- und Gesundheits-Schutz-Management). Daher bleibt zu schließen, dass die im Herbst 2022 veröfentlichte CSRD-Richtlinie sich an einer Prozessanalyse orientiert, die die wertvollen Vorarbeiten von Unternehmungen und Organisationen im Rahmen der oben genannten ISO-Normen integrieren lassen. Ein Aufbau auf bestehenden Nachhaltigkeits-Bemühungen spart wichtige Zeit, Ressourcen und verschafft oftmals einen Wettbewerbsvorteil. Mit dem in Kraft treten der EU-Taxonomie haben nachhaltige Aktivitäten bereits jetzt eine EU-weite Konkretisierung und Verbindlichkeit auf Basis eines normierten Verständnisses erhalten.

..
Dr. Peter Lender
Über
Dr. Peter Lender
Dr. Peter Lender ist geschäftsführender Gesellschafter der DIGUM GmbH, DIN-ISO-zertifizierter Nachhaltigkeitsmanager und Entwickler des DigitalisierungsAudits sowie von zahlreichen Plattformen und Ökosystemen. Als zertifizierter Sanierungsberater (IFUS-Institut) ist er u.a. Mitbegründer der Geschäftsmodell-Werkstatt, sowie der DigitalisierungsAkademie. Zuvor befasste er sich mit dem Aufbau und der Positionierung von Kunden-Service und User Experience im Rahmen der Transformation von Geschäftsmodellen. Er ist Autor von Fachbüchern und Herausgeber des T4Magazins. In Konstanz hat er hat Volkswirtschaft und in Kiel Agrarökonomie studiert und anschließend als Doktor der Agrarwissenschaften promoviert. Er ist außerdem Diplom Bankbetriebswirt (ADG).
Alle Beiträge von Dr. Peter Lender