Warum nur fällt es Führungskräften so schwer, die Chance für einen konsequenten Schritt in unseren Arbeitswelten hin zu mehr Eigenverantwortung und damit auch zu mehr Ergebnisverantwortung bei ihren Mitarbeitenden gezielt zu nutzen?
Die COVID-19 Pandemie hat uns im vergangenen Jahr gezeigt, was auf einmal alles in punkto „Remote Work & HomeOffice“ möglich war. Doch kaum ließ der äußere Druck nach, wurden vieler Orts die „Freilandhühner“ zurück in die „Legebatterien“ getrieben – ob nun sinnvoll oder nicht.
Ja sicher, es gab für die Organisationen und ihre Manager viele Herausforderungen zu bewältigen und Probleme in diesem Zusammenhang zu lösen. Vom Thema der technischen Ausstattung im HomeOffice, über die Fragen des Datenschutzes und der DSGVO bis hin zur Qualität der Internetverbindungen und den mancherorts mickerigen VPN-Tunneln (wobei hier „Tunnel“ sehr euphemistisch klingt).
Ja, und es zeigte sich auch sehr schnell, dass nicht alles im Wertschöpfungsprozess einer Organisation von einem Tag auf den anderen virtuell gestaltet werden kann, noch dass „Remote Work“ für jeden Mitarbeitenden die passende Form der Zusammenarbeit und der Leistungserbringung ist.
Doch diese Fragen wurden zügig positiv geklärt und die Überraschung war darüber groß – bei Führungskräften wie bei Mitarbeitenden – was sich auf einmal alles in dieser, für die meisten neuen Form der Zusammenarbeit bewerkstelligen ließ. Selbst große Skeptiker auf beiden Seiten gestanden in den vergangenen Wochen ein, dass es viele positive Effekte gab und dass sich sogar die Produktivität im HomeOffice steigern ließ… . Die Berliner GASAG ist hier nur ein Beispiel für einen erfolgreichen Wandel der Sinne.
Was läuft hier schief? Warum muss der Gesetzgeber auf den Plan treten und angesichts der pandemischen Lage die Forderungen nach dem „Recht auf HomeOffice“ gesetzlich verankern?
Es gibt hier einen Knackepunkt: Die Menschen, speziell die Führungskräfte mit ihren individuellen Bedürfnissen, Motiven und Interessen, mit ihren Prägungen und Überzeugungen! Für die meisten Führungskräfte jenseits der hippen Co-Working-Spaces und außerhalb der Resonanzräume der „New Work“-Szene gelten doch noch immer Sätze wie: „Bei uns würde das so nicht gehen“ oder „Wir sind dazu einfach noch nicht reif“. Häufig auch „Mit meiner Mannschaft wäre das undenkbar.“ Oder: „Wir waren da mal bei einer Firma zu Besuch – das war interessant, aber letztlich doch nichts für uns.“ Gruselig auch der Satz: „Es ist schon ein sehr langer Weg, um dorthin zu gelangen…“ Egal ob bei einem Maschinenbauer auf der Ostalb oder im Bürgeramt Berlin-Wilmersdorf – diese Aussagen sind der gelebte Alltag in über 80 % aller Organisationen der Bundesrepublik Deutschland (und nicht nur hier!).
Bevor man also Mitarbeiter mit dem „letzten Schrei“ virtueller Zusammenarbeit konfrontiert und einen „Sprint“ Richtung HomeOffice einlegt, lohnt es sich, zunächst einmal die Potenziale „normaler“ Zusammenarbeit genauer unter die Lupe zu nehmen! In den meisten Unternehmen liegen diese Potentiale wie ein versunkener Schatz unter verkrusteten Strukturen, mangelnder Wertschätzung, fehlendem Vertrauen und einer disfunktionalen Kommunikation.
Fazit: Wer die „Hausaufgaben“ der analogen Welt nicht gemacht hat, wird auch in der digitalen Zukunft keine gute Figur machen!
Und im Kern dieser Hausaufgaben geht es um unser „Menschenbild“, um unser Bild von den Menschen, mit denen wir in unseren Teams und Projekten zusammenarbeiten. Der Organisationsforscher und Professor für Management Douglas McGregor gab der Art und Weise, wie wir über Menschen denken vor über 60 Jahren einen Namen: Theorie X-Y.
Zu welchem der beiden Typen würden Sie sich selber rechnen?
Diese Theorie X-Y sagt im Kern: Wie Du in den Wald hineinrufst, so schallt es heraus!“ Weder Führungskräfte, noch ihre Mitarbeiter sind die Ursache aller Schwierigkeiten – sondern unsere Vorstellung davon, wie die jeweils anderen ticken und wie die Physik von Motivation und Zusammenarbeit funktioniert. Denn wenn wir Menschen als X-Typen betrachten und behandeln, werden sie auch wie ein X-Typ reagieren! Was wiederum nach dem Gesetz „Der sich selbst realisierenden Prophezeiung“ unser erstes Urteil über einen Menschen bestätigt und damit verstärkt – ein klassischer „Teufelskreis“.
Allen Chef-Männern und Chef-Frauen dieser Welt sei ein Zitat mit auf den Weg in die digitale Zukunft gegeben – Johann Wolfgang v. Goethe wusste schon vor rund zweihundert Jahren worauf es in der Führung ankommt:
„Behandle Menschen stets so, als wären sie, was sie sein sollten und Du hilfst ihnen zu werden, was sie sein könnten!“
Es spricht sich langsam auch in den Chefetagen herum, dass Mitarbeiter die Organisation nicht verlassen, weil Vorstände berufen und nicht gewählt werden. Sondern sie kündigen, machen „Dienst nach Vorschrift“ oder sabotieren geradezu die Geschäftsprozesse, weil im Unternehmen auf allen Ebenen mehr gegen- als miteinander gearbeitet wird. Ganz zu schweigen von der Nicht-Berücksichtigung individueller Bedürfnisse der Mitarbeiter…
Als sinnvoller erster Schritt aus diesem Dilemma, lange bevor über die ergonomische und technische Ausstattung im HomeOffice verhandelt wird, empfiehlt es sich aus unserer Erfahrung, in die Qualität der Zusammenarbeit der Menschen zu investieren. Wir nennen das „Konsequent agile Zusammenarbeit“. Dabei handelt es sich um ein über viele Jahre international angewendetes, validiertes Entwicklungskonzept, das fünf zentrale Kompetenzen in den Fokus nimmt, um in Teams und Unternehmen (sowohl intern als auch organisationsübergreifend) die Zusammenarbeit aller Beteiligten nachhaltig zu stärken:
In vielen Unternehmen ist die Arbeit ein täglicher Überlebenskampf. Es bestehen starke Rivalitäten zwischen Kollegen, Führungskräften und unterschiedlichen Abteilungen. Fehler werden verborgen oder anderen in die Schuhe geschoben. Natürlich wird so jedes Vertrauen untergraben. Wie wäre es, wenn wir stattdessen alle verstünden, dass jeder Mensch Abwehrstrategien nutzt, wenn er unter Druck gerät? Wenn wir lernten, sowohl unsere eigenen als auch die „wunden Punkte“ anderer zu erkennen, und ein Klima zu schaffen, in dem sich niemand bedroht fühlen muss? Dann würde auch die Bereitschaft zu echter Zusammenarbeit wachsen.
Auch wenn Lügen gesellschaftlich verpönt sind, nutzen die meisten Menschen sie doch jeden Tag. Oftmals gilt auch im Büro der Grundsatz: „Kleine Unwahrheiten schützen den Betriebsfrieden“, was nichts anderes bedeutet als „Ich traue mir/dir/ihr/ihnen nicht zu, mit meiner Wahrheit umgehen zu können“. Wie wäre es, wenn wir nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegenüber uns selbst das Vertrauen aufbrächten, dass schwierige, offen geführte Gespräche unsere Beziehungen weiterbringen?
„Warum übernehmen unsere Leute nicht mehr Verantwortung?“ Es gibt wohl kaum eine andere Wehklage, in die so viele Führungskräfte unisono einstimmen würden. Die Antwort ist komplex und schmerzhaft: Weil viele Menschen gelernt haben, dass das Leben recht bequem sein kann, wenn man ständig anderen die Schuld gibt. Und weil viele Unternehmen kaum Anreize für echte Eigenverantwortung setzen. Wie wäre es, wenn jeder von uns im Arbeitsalltag nur zehn Prozent proaktiver und eigenverantwortlich agieren würde?
Ein Großteil der zwischenmenschlichen Spannungen am Arbeitsplatz ist darauf zurückzuführen, dass Kollegen unterschiedliche Bedürfnisse und Präferenzen haben. Manche wollen in jedem Meeting dabei sein, andere am liebsten in keinem. Manche wollen möglichst alles selbst bestimmen, andere lieber klare Ansagen bekommen. Manche wollen viel Persönliches teilen, für andere gehört Derartiges nicht ins Büro. Wie wäre es, wenn wir unsere Bedürfnisse und die unserer Mitmenschen besser verstünden und uns flexibler auf unweigerliche Unterschiede einstellen könnten?
Konflikte sind im Arbeitsleben an der Tagesordnung. Die Fronten müssten sich aber nicht so oft verhärten. Wie wäre es, wenn wir uns bewusstwürden, dass auch bei vordergründig gegensätzlichen Positionen die zugrundeliegenden Interessen oftmals große Schnittmengen haben?
Wenn das funktionieren soll, müssen diese fünf zentralen Kompetenzen „Konsequent agiler Zusammenarbeit“ von entsprechenden Strukturen und Prozessen in der Aufbau- und Ablauforganisation begleitet und von der Kultur der Organisation „getragen“ werden. Nur dann werden sie langfristig ihre Wirkung entfalten können.
Die gute Nachricht: Man kann diese Kompetenzen in vergleichsweise kurzer Zeit erlernen.
Die schlechte Nachricht: Das bedeutet Abschied nehmen vom klassischen, tayloristischen Weltbild und der Idee des „Scientific Management“!
Eigentlich gar nicht so schlecht, diese Nachricht! Oder?